Freitag, 12. März 2010

...die Rolle im System...




Gestern Abend fand eine Art Meistertreffen statt. Die Autorin, und seit diesem Jahr auch Nobelpreisträgerin, Hertha Müller traf bei der lit.Cologne den chinesischen Künstler Ai Weiwei. Sie ist die schmale, dunkle und geheimnisvoll erscheinende Autorin, die im Interview mit Denis Scheck so zerbrechlich und stark zugleich wirkte, dass es mich zur Ergriffenheit nötigte. Sie scheint jedes Wort bewusst zu wählen, wirkt bedacht und konkret, zugleich aber von Emotionalität durchdrungen. Sie stammt aus dem Banat, gehörte der deutschen Minderheit in Rumänien an, wo sie Erfahrungen mit dem Leben in einer Diktatur sammeln musste. In Ihrem Roman Atemschaukel , der von einem jungen Rumänen im russischen Arbeitslager handelt, schreibt sie:

Falls ich in diesem Leben noch einmal deportiert werden sollte, wüsste ich: Es gibt erste Dinge, die das Zweite schon wollen, auch wenn man das gar nicht will. Was treibt mich in diese Verbundenheit. Warum will ich nachts das Recht auf mein Elend haben. Warum kann ich nicht frei sein. Wieso zwinge ich das Lager, mir zu gehören. Heimweh. Als ob ich es bräuchte.



Er ist vielmehr Pop, wirkt viel stabiler und unmittelbarer. Er, der Internet-Präsente und leidenschaftliche Blogger, der Dokumenta-Künstler, der 1001 Chinesen nach Kassel einlud und dieses Projekt fairytale nannte. In Kassel stapelte er auch Türen zu der Skulptur template, die vom Wind verweht in sich zusammenstürzte, was den Künstler allerdings nicht aus der Ruhe brachte. Ohnehin erscheint er sturmerprobt durch seine Auseinandersetzungen mit der chinesischen Regierung. Im sehr aufschlussreichen und interessanten Interview mit der Frankfurter Rundschau erzählte er von seiner politischen Haltung, seiner Klage gegen ein Ministerium und davon, wie jemand der schweigt zum Teil des Systems wird. Auch seine Sicht auf die mögliche Aufgabe der Kunst lässt er hier erkennen:


Ich glaube, Kunst entsteht, wenn man das Chaos auf der Welt betrachtet und trotzdem nicht den Glauben daran verliert, dass es eigentlich anders sein sollte. Das möchte ich zeigen, mit Aktionen, die einfach sind, aber gerade dadurch stark und verständlich.


Gestern trafen nun diese beiden differenten Persönlichkeiten, mit ähnlichen Erfahrungen, beim größten europäischen Literaturfestival aufeinander um die Rolle des Künstlers innerhalb eines diktatorisch organisierten Staates zu diskutieren. Der WDR liefert auf seiner Homepage eine schöne Zusammenfassung des Abends, der auch die Unterschiede zwischen den beiden herausarbeitet, der vor allem im Bereich der neuen Medien zu finden ist:

Doch Herta Müller fragte zweifelnd, ob das Internet wirklich eine Macht sei: "Da sind verschiedene Leute, die sich nicht untereinander kennen. Das da auf dem Bildschirm ist doch nur ein Flimmern." Ai Weiwei meinte darauf, mit Sicherheit könne das Internet nicht alles verändern, aber die technische Revolution sei gewaltig: "Ich glaube an die Macht der Technik." Sein Plädoyer mündet in einem Satz, der den Abend zugleich beendet: "Vielleicht bekommen wir die Freiheit nicht, aber die Sehnsucht nach der Freiheit ist da."



Mehr intime Details zur lit.Cologne gibt es übrigens im Festivalblog:

 

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