Dienstag, 6. April 2010
...lettre haiti...
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Bernd Meiners, Verlassener Voodoo-Tempel in Porte-au-Prince, Haiti (Detail)
Staub und Rauch, Kummer und Leid vergiften die Luft von Porte-au-Prince, die einst süß nach flammendroten Bougainvilleen, nach Bäumen voller Papayas und Mangos duftete, nach all den scharfen Gerüchen tropischer Fruchtbarkeit und Fäulnis.
Die Zeiten in Haiti sind oft tragisch, ohne Ernst zu sein. (...) Kidnapping, Mord, Brandstiftung, Ausschreitungen, epidemische Katastrophen, die das Land überrollen, abebben und es dann wieder überschwemmen, charakterisieren eine Gesellschaft, die sich von hartnäckig anhaltenden Krisen ins Chaos bewegt hat.
Wir alle durften, mussten, konnten teilhaben an diesem Chaos, das sich ins unermessliche auswuchs, als im Januar die haitianische Erde bebte. Und plötzlich kehrten sie alle zurück in die einstige Kolonie um ihr Gutmenschentum zur Schau zu stellen. Die Obamas und Sarkozys machten sich breit und öffentlich über den Karibikstaat her und versuchten verlorenes Land wieder gut zu machen. In der Zeit war gar zu lesen:
Die USA haben den besten Überblick über die Verwüstungen und sie haben 5000 Soldaten in Marsch gesetzt, um die öffentliche Ordnung zu sichern. Sie helfen, weil die südlichen Nachbarn in ihrem Weltbild längst eingemeindet sind.
Es ist nicht leicht aus unserer Entfernung über eine Notsituation wie diese zu urteilen. Es ist auch nicht leicht Hilfe zu koordinieren oder gar Entwicklung möglich zu machen. Auch die aktuell beschlossene, finanzielle Unterstützung (10 Milliarden Aufbauhilfe), die die internationale Geberkonferenz beschloss ( > financial times) ist kritisch zu sehen, wie Entwicklungshilfe im Allgemeinen.
Das Verteilen von Reis ernährt die Hungrigen heute, aber es hilft Haiti nicht, eigenen für das nächste Jahr anzubauen.
In der Frühjahrsausgabe der Lettre International ist nun ein Artikel des Haiti-Kenners Herbert Gold, ein in San Francisco lebender, deutscher Journalist, erschienen, der uns Einsichten gewährt, für die die Berichterstattung bislang keinen Raum fand. In eindringlicher Sprache erfährt man hier etwas über die Geschichte, die Menschen und die Katastrophen, die das Land in Form von korrupten Präsidenten und missions-verrückten Christen heimsuchten. Er verhandelt mit Hilfe vieler Zitate und immer wieder auftauchenden Personen die Frage der Schuld und die Frage der Hoffnung (auch nach dem Erdbeben). Haiti stirbt, Haiti lebt ist ein unbedingt lesenswertes Stück Literatur, ich glaube so muss man es bezeichnen. Alle blau geschriebenen Zitate entstammen diesem Artikel.
Obwohl ich nicht mehr rauche, hatte ich das Privileg, diesen Genuß beim Frühstück an meinem Stammplatz auf der anmutigen, jämmerlichen Terrasse des Hotel Oloffson zu inhalieren, das ich wie ein Süchtiger seit mehr als 55 Jahren besuche. In Haiti werde ich wieder der neugierige Student, der verhext ist von dieser Tragödie, zu der man tanzen kann.
Lettre International 88
Frühjahr 2010
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